„…der Mensch ist von Natur aus ein Geschichten erzählendes Tier“. So beschrieb es der Philosoph und Sprachwissenschaftler Umberto Eco (1983).
Aber was macht den Menschen aus, wenn der Geschichten erzählt? Was ist – um es neudeutsch zu sagen – Storytelling? Würde man den Anglizismus übersetzen, dann kann man den Begriff mit „Geschichten erzählen“ übersetzen. Aber Storytelling ist heute zu einem „machtvollen Managementinstrument“ geworden. In modernen Unternehmen wird Storytelling tagtäglich praktiziert, denn wo Menschen miteinander agieren, werden auch Geschichten erzählt. Keine Autowerbung, ohne Geschichte, kein Parfum ohne Story.
Geschichten werden immer und überall erzählt. Wir sind umgeben von ihnen. Das Erzählen von Geschichten ist eine uralte Kommunikationsform der Menschheit, um Wissen und Werte weiterzugeben. In allen Epochen und Kulturen waren und sind es Geschichten, die der Welt Bedeutung geben, Bindung zwischen Menschen erzeugten und Ordnung in Gesellschaften bringen können.
Eine lebendig erzählte Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit und Konzentration anderer Menschen leichter als eine nüchterne Ansprache. Die Zuhörer versuchen, den Handlungsablauf, den Sinn (die Metapher) zu erfassen und die darin enthaltene Weisheit zu verstehen. Auch wenn die Zuhörer nicht jede Einzelheit konkret verstehen, werden sie dennoch den Kern der Geschichte begreifen. Beim Zuhören gelangen Menschen oft in einen entspannten Trancezustand, in dem sie Inhalte noch tiefer aufnehmen können. Meist wirkt die Geschichte im Unbewussten weiter, und Erkenntnisse verdichten sich. Oft werden auch Fabeln und Anekdoten erzählt oder eine Weisheit in einer Pointe ausgedrückt. Zum Erzählen gehören neben der Sprache auch weitere persönliche Ausdrucksmittel wie Gestik, Mimik und die Stimme. Dabei muss das Grundmuster der Geschichte immer aus der Lebenswelt der Zuhörer stammen, also der Welt der Schüler, der Patienten, der Kundschaft oder des Betriebs.
Geschichten erzählen erfüllt viele Aufgaben: Lebenserfahrung vermitteln, Wissen weitergeben, Sachinformationen vermitteln, Problemlösungen aufzeigen, Denkprozesse einleiten, Rollenerwartungen definieren, Verhaltensänderung anregen, Repertoire an Verhaltensweisen erweitern, Unterhaltung, Normen und Werte vermitteln, Anschauungsvermögen fördern, zum Handeln motivieren, Hoffnung stiften und Sinn geben.
Paradigmenwechsel in der politischen Kommunikation
Wenn man sich aber die Reden von Politikerinnen und Politikern anhören, kann man den Eindruck bekommen, dass diese Bedeutung von Geschichten nicht gesehen wird. Da wird mit Zahlen und Fakten um sich geschmissen und wenn das nicht mehr hilft mit Floskeln plattgeredet. Was alles „alternativlos“ ist, wir uns wie ein Mantra einreden, dass „die Inhalte im Vordergrund stehen müssen“, wir und folgerichtig auf keinen Fall „treiben lassen dürfen“, das ist schon heftig.
Viele Spitzenpolitiker sind immer noch in der Tradition einer politischen Kommunikation verhaftet, die glaubt, dass politische Überzeugungen hauptsächlich durch Agitation transportiert werden.
Heute ist unumstritten, dass Politik in dem Dreiklang zwischen Programmen, Personen und Parteien und deren Image kommuniziert wird.
In der politische Kommunikation hat sich in den letzten 20 Jahren aber einiges verändert. Waren die Wahlkämpfe der 50er und 60er Jahre noch im Wesentlichen davon geprägt, das die Wählerinnen und Wähler mit Parolen „gefangen“ wurden, entwickelte sich die politischen Kommunikation der 70er Jahre hin zum Überzeugen mit Argumenten. In den 80er Jahren begann die Kommunikation in den Vordergrund zu rücken. Seit den 90er Jahren kommen Aspekte der Emotionalisierung hinzu.
Heute steht der Aspekt der Glaubwürdigkeit ganz klar im Vordergrund. Politische Kommunikation muss „stimmig“ sein. Person und der politische Inhalt und idealtypisch das Bild der Partei die der Politiker vertritt oder der er nah steht, müssen eine Einheit bilden.
Das Storytelling als Brücke zur Glaubwürdigkeit
Menschen wollen heute glaubwürdige, stimmige, menschliche Politikerinnen und Politiker. Sie wollen keine Politiker, die ihnen Märchen erzählen aber sie wollen wissen, wie die politischen Aussagen wirken. Es gibt eine neue Sehnsucht nach Geschichten, und zwar solchen Geschichten, die glaubwürdig und authentisch sind. Geschichten, die etwas mit der Biographie des Politikers zu tun haben, Geschichten, die der Politiker selbst erlebt hat, die aus seinem Herzen kommen und ihn berührt haben. Geschichten die mich berühren, berühren auch andere.
Hinter der Geschichte muss eine Botschaft stecken. Nicht der erhobene Zeigefinger, sondern eine bildliche Beschreibung dessen, was der Politiker eigentlich sagen will.
Dafür ein Beispiel:
Ich habe vor vielen Jahren Ferienspiele gemacht. Unser Verein, der eher aus einem so genannten “Besseren“ Viertel kam, machte diese Ferienspiele immer in Kooperation mit einem sozialen Brennpunkt.
In einem Jahr hatten wir an jedem Tag einen Zahnarztnotfall. Die jungen Mädchen aus dem sozialen Brennpunkt waren davon betroffen. Wir fuhren die Kinder zum Zahnarzt. In der Regel hatten sie keine Krankenversicherungskarte und trotzdem fanden wir einen Arzt, der sie behandelte.
Bei all diesen Kindern, waren die Zähne weggefault. Sie hatten nur noch schwarze Zahnstümpfe im Mund. Wenn sie zu Hause waren „behandelten“ die Eltern das Problem mit Schmerzmitteln. Nach den Ferienspielen setzten wir uns mit den Sozialarbeitern zusammen und überlegten, was wir tun könnten. Wir boten dann Zahnprophylaxe für die Kinder an. In dem Brennpunkt wurden natürlich auch noch andere Sachen gemacht. Es gab eine Hausaufgabenhilfe und Förderprogramme für die Kinder. Es gab Mädchengruppen und freiwillige Nachhilfestunden.
Jahre Später machte ich Hausbesuche in einem dem Brennpunkt benachbarten Stadtteil. Und als ich an einer Tür schellte, begrüßte mich eine junge Frau die mich spontan und herzlich begrüßte. „Hallo Michael“. Ich war ein wenig verwirrt, weil ich sie nicht ein- oder zuordnen konnte und fragte sie, woher wir uns kennen. Sie sagte schnell „Ich war das Mädchen von den Ferienspielen“. Mir ging ein Licht auf. Diese junge Frau war eins der Zahnarztnotfallkinder. Jetzt strahlte sie mich mir wunderschönen Zähnen an und auch sonst schien es ihr wirklich gut zu gehen. Eine nette junge Frau. Sie erzählte mir, dass sie als einzige aus ihrer Familie den Realschulabschluss gemacht habe (alle anderen in der Familie haben über Generationen die „Sonderschule“ besucht). Sie hatte einen Beruf und war glücklich verheiratet.
Das ist eine Geschichte, die ich selbst erlebt habe. Ich weiß, dass beim erzählen die Zuhörer sich manchmal an die Backe fassen, weil sie selbst einen leichten Schmerz empfinden. Ich weiß, dass ein ekeliges Bild von weggefaulten Zähnen im Kopf entsteht und ich sehe, dass meine Zuhörerinnen und Zuhörer lächeln, wenn sie sich die strahlende junge Frau vorstellen.
Ich erzähle eine Geschichte von der Chance des sozialen Aufstiegs, wenn soziale Systeme wirken, wenn kommunale Sozialpolitik im Sinne eines wirkungsorientierten und präventiven Ansatzes, praktiziert wird. Ich habe nicht eine Zahl verwendet. Ich habe nicht über die Ergebnisse der Sozialerhebung in diesem Stadtteil gesprochen, von der hohen Sozialhilfedichte und der hohen Schuldnerberatung. Ich habe nur eine wahre Geschichte erzählt, in der das alles drin steckt.
Warum Storrytelling?
Geschichten faszinieren, unterhalten, stimulieren, prägen sich ein, lassen die Welt mit anderen Augen sehen. Die Hirnforschung belegt: jeder Denkprozess wird von inneren Bildern begleitet, die unser Gehirn fortlaufend konstruieren. Deshalb setzen wir mit Erzählungen ein wahres „Kopfkino“ in Gang. Gut gewählte Beispiele, schillernde Anekdoten und professionell erzählte Geschichten haben große psychologische Kraft. Sei machen neugierig, lösen Emotionen aus, vermitteln das Gefühl der Vertrautheit und machen komplizierte Vorgänge verständlich.
Kann man Storytelling lernen?
Ja natürlich kann man es lernen. Die Akademie für Kommunalpolitik hat in Hessen im letzten für eine Reihe von Spitzenpolitikern des Landes eine Seminar angeboten, in den das Sorytelling erprobt wurde. Ausgehend von einer Personenanalyse, in der Stärken und Angriffspunkte und daraus resultierende Chancen und Risiken entwickelt wurden (SWOT Analyse für Personen), entwickelten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Geschichten, die sie in der politischen Kommunikation erfolgreich eingesetzt haben.
Letztlich ist es aber ein Prozess der eigenen Selbstreflexion. Ich will nur dann anderen etwas mitteilen, wenn es mir wirklich wichtig ist. Wenn ich mir im Klaren darüber bin, was die Bedeutung für mich ausmacht, fällt mir meine Geschichte zum politischen Sachgegenstand direkt in den Schoß.
Formen des Storytelling
Natürlich kann man Geschichten in Reden unterbringen. Ich erinnere an das Kopfkino. Geschichten erzeugen Bilder und Bilder wirken in den Köpfen der Zuhörerinnen und Zuhörer. Aber es gibt Veranstaltungsformate, die regelrecht das Geschichten erzählen herausfordern. Dazu gehören Generationengespräche, Erzählnächte auf dem Schloss, im Keller oder an anderen ungewöhnlichen Orten oder Geschichten zum Verschenken.
Fazit
Einer der talentiertesten Geschichtenerzähler der Neuzeit ist der amerikanische Präsident Barack Obahma. Seine Geschichte des gelebten „american Dream“ war eine der wesentlichen Grundlagen für seinen ersten Wahlerfolg. Seine Großmutter lebte in einer Lehmhütte in Kenia, ihr Enkel wurde Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Gute Geschichten vermitteln eine Botschaft. Sie schalten das Kino im Kopf an und sind deshalb einprägsam. Gerade Werte in ihrer Abstraktheit brauchen eine Story, die sie veranschaulicht.
Gute Geschichten werden weitererzählt. Echte Botschaften brauchen echte Geschichten.